Erfahrungsbericht von Lisa K., Mutter eines 2-jährigen Kindes mit PFFD (Proximaler fokaler Femurdefekt) links

Ich kann bisher nichts berichten über OPs oder ähnliches – glücklicherweise waren bei unserem Sohn keine frühen medizinischen Eingriffe notwendig. Aber PFFD (genauso wie Fibula-/Tibiadefekte oder ähnliche Fehlbildungen) zieht viele andere Themen mit sich, die wir als Eltern in diesen ersten beiden Jahren diskutiert, uns eingelesen, gelernt haben, etc… Man ist mit vielem konfrontiert, das für Eltern mit einem gesunden Kind überhaupt nicht relevant ist.

Und man muss sich überlegen, wofür man seine eigenen Ressourcen als Eltern (sei es Geld, Zeit, Nerven, …) aufwenden möchte. Da wir beide den Antrieb haben, Dinge in Angriff zu nehmen, anstatt sie auf die lange Bank zu schieben, haben wir in diesen ersten beiden Jahren bereits einiges zusammengetragen. Insbesondere auch sehr viel Papierkram…
Nichts von dem was im Folgenden beschrieben ist, erhebt Anspruch auf Vollständigkeit oder ersetzt die Rücksprache mit Krankenkasse, Ämtern, etc. Es ist lediglich ein Überblick über das, was wir in den letzten beiden Jahren erlebt und womit wir uns auseinandergesetzt haben.
Vielleicht ist es ja für den ein oder anderen hilfreich, denn eine umfassende Beratung/Übersicht hatten wir leider nicht, obwohl ich mit dies gerade anfangs gewünscht hätte.


Schwangerschaft und Geburt


Schwanger mit dem ersten Kind, das ist schon was Besonderes, gerade wenn das mit dem Kinderkriegen anfangs nicht ganz bilderbuch-mäßig anfing. Alles lief gut, bei den Ultraschallterminen (im Verlauf der Schwangerschaft haben mich mindestens 3 Ärzte geschallt, und keinem fiel etwas auf) sah alles prima aus. Außer dass der Zwerg in meinem Bauch immer schön mit dem Popo unten saß und sich nicht drehen wollte. Heute wissen wir, dass das bei Kindern mit PFFD häufig so ist. Vielleicht haben sie es wegen dem kürzeren Bein schwerer, sich in die richtige Lage zu manövrieren. Spontangeburt in Beckenendlage – da kommt ganz schnell das Wort Kaiserschnitt auf. Einen geplanten Kaiserschnitt wollte ich aber auf garkeinen Fall. Meine Wunschklinik bot zum Glück auch die Möglichkeit für Spontangeburten in BEL. Dafür musste ich ins MRT, um das Verhältnis von Kopfgröße zu Beckengröße auszumessen. Das passte – dass man die Femurlänge vom Zwerg nicht richtig bestimmen konnte, machte keinen stutzig, er saß halt schon tief im Becken drin.
Und so kam unser Sohn in BEL auf die Welt. Bei der U1 stellte die Hebamme fest, dass mit dem linken Oberschenkel etwas nicht stimmte. Bei mir ging das erstmal völlig unter. Erst als es hieß, dass der Zwerg nochmal in die nächstgelegene Kinderklinik verlegt werden muss, um das genauer zu untersuchen, wurde ich hellhörig. Dann kam am nächsten Tag noch eine Neugeboreneninfektion dazu. Nichts bedrohliches oder ungewöhnliches, aber 7 Tage Antibiotika mussten sein. Ich heule selten, aber die Wochenbetthormone taten ihr Übriges, als mein 2 Tage alter Sohn mit dem Inkubator abgeholt wurde.
Also pendelten wir die nächsten Tage zur Kinderklinik. Dank Corona durfte immer nur einer rein, während der andere bei Eiseskälte in Decken gemummelt im Auto saß und die Zeit totschlug. Der Zwerg wurde geröngt, geschallt, bekam direkt täglich Vojta-Therapie. Die Diagnose PFFD interessierte mich irgendwie erstmal garnicht. Für mich war erstmal nur wichtig, dass wir alle zusammen nach Hause fahren durften. Nach einer Woche war der Spuk vorbei und wir durften unseren Zwerg endlich mitnehmen. Wir bekamen die Empfehlung, Vojta-Therapie zu starten und wurden ans Sozialpädiatrische Zentrum angebunden, das mit einer Kinderorthopädin zusammenarbeitet, die auf solche Fehlbildungen spezialisiert ist.


Humangenetik

Im Nachhinein war ich übrigens froh, die Diagnose PFFD nicht schon während der Schwangerschaft bekommen zu haben. Ich glaube, ich hätte mich ziemlich verrückt gemacht, Dr. Google befragt, und am Ende wäre ich auch nicht viel schlauer oder besser vorbereitet gewesen.
Denn irgendwie sucht man ja nach einem Grund. Antibiotika in der Frühschwangerschaft, genetische Veranlagung, inkompatibles Erbgut, … Gerade mein Mann hat sich hier viele Gedanken gemacht.
Da wir uns immer einig waren, dass unser Kind kein Einzelkind bleiben soll, haben wir ein Humangenetik-Gespräch wahrgenommen. Letzten Endes blieb es dabei, dass es keine Hinweise auf Probleme genetischen Ursprungs, falsche Medikamente oder Ähnliches gibt, sondern dass diese Art von Fehlbildung wohl eine Laune der Natur ist. Aber zumindest stand nicht zu befürchten, dass es bei der nächsten Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für weitere Fehlbildungen gibt.


Physiotherapie – Vojta

Mein Mann hatte direkt in der Kinderklinik von der Physiotherapeutin eine Praxis bei uns in der Nähe empfohlen bekommen. Mit dem Hinweis, dass Physiotherapie, insbesondere Vojta, die nächsten Jahre sehr wichtig sein würde. Denn dank der Beckenendlage hatte unser Zwerg von Vornherein eine extreme Schiefhaltung, und die asymmetrische Beinlänge bringt ebenfalls eine ungleiche Belastung mit sich.
Also stiefelten wir, kaum daheim angekommen, mit unserem Zwerg direkt zum Kinderarzt, um ein Rezept für die Physiotherapie zu bekommen. Der Zwerg war gerade 2 Wochen alt, da hatten wir unsere erste Vojta-Einheit in der Praxis. Ab dann hieß es, 3-4mal täglich auch daheim die Übungen durchzuführen.
Vojta ist bei vielen Leuten als „Schrei-Therapie“ bekannt, und ich hatte einen riesen Respekt vor dieser Aufgabe. Aber unsere Therapeutin hat uns (Eltern und Kind!) behutsam und Schritt für Schritt an die Turnübungen herangeführt und unser Sohn hat die Übungen von Anfang an gut mitgemacht. Meistens sogar ohne Geschrei.
Es bedeutete viele vollgepinkelte Handtücher, es gab und gibt immer wieder Phasen und Tage, an denen es nur mit Geschrei geht, aber heute ist nichts mehr zu sehen von der Schiefhaltung. Ebenso hat uns die konsequente Turnerei vor einer Helmtherapie bewahrt, denn in den ersten Monaten war der Kopf sehr platt gelegen auf der Lieblingsseite. Je beweglicher der Kopf auf die andere Seite wurde, desto besser wurde dann auch die Kopfform.
Inzwischen turnen wir nur noch maximal einmal pro Tag daheim mit unserem inzwischen 2-jährigen Sohn, mehr ist mit Kita, Nachmittagsprogramm etc. nicht mehr machbar, aber aktuell auch nicht notwendig. Zu seiner Therapeutin geht er sogar sehr gern, und auch daheim klappte es bisher meist gut ihn zu motivieren. Aktuell boykottiert er die Übungen daheim, mal sehen ob sich das wieder gibt.
Zusatzinfo: Eine vernünftige, große Therapiematte kostet zwar viel Geld, die Anschaffung lohnt sich aber, wenn man über Jahre hinweg Physiotherapie mit seinem Kind machen müssen wird. Vorher sollte man mit der Krankenkasse telefonieren und sich (am besten schriftlich) genau sagen lassen, was es braucht, damit diese als Hilfsmittel bezahlt wird. Rezept vom Kinderarzt, wer ist Vertragspartner der Kasse für solche Matten, etc… Wir haben am Ende selbst zahlen müssen.


Osteopathie


Termine bei einem guten Kinderosteopathen zu bekommen ist nicht einfach. Und an Osteopathie kann man glauben, muss man natürlich aber nicht.
Wir haben es ausprobiert und hatten die Erfahrung, dass unser Zwerg nach jeder Behandlung irgendetwas besser konnte, sich freier bewegt hat als vorher. Die ersten 1,5 Jahre haben wir immer
mal wieder einen Termin gemacht, mit abnehmender Häufigkeit. Für uns war es eine gute Ergänzung zur Physiotherapie.
Und mit Rezept übernehmen manche Kassen zumindest einen Teil der Behandlungen.


Klinikwahl

Wie schon erwähnt, wurden wir von der Kinderklinik an eine Kinderorthopädin verwiesen, die 3-4mal im Jahr die Kinder mit Fehlbildungen im SPZ der Klinik anschaut und behandelt.
Bezüglich der Kompetenz der Dame fühlten wir uns ganz gut aufgehoben, allerdings waren ihre Besuche immer Sammeltermine. Sprich, sie musste sich am Tag etwa 30 Kinder anschauen, sodass kaum Zeit für Fragen oder ähnliches blieb.
Wir recherchierten und fragten uns durch, wie es in anderen Behandlungszentren läuft.
Als es dann der Zeitpunkt kam für die erste Ortoprothese, kam für uns die Frage auf, wo wir uns dauerhaft für die weitere Behandlung besser aufgehoben fühlen würden:
A – Im SPZ mit ambulanten Terminen, bei denen man dann auch das Rezept für die Hilfsmittelversorgung bekommt. Das geht dann zur Krankenkasse für eine Bewilligung der Kostenübernahme, und anschließend geht’s weiter zum Orthopädietechniker. Ambulanter Gipsabdruck, zwei Wochen später dann noch 1-2 Mal zur Anprobe. Das wäre für uns jeweils zu jedem Termin eine Stunde Anfahrt gewesen. Jedoch gab es unserem Eindruck nach keine Rücksprache zwischen Arzt und Orthopädietechnik bezüglich Fuß- und Gelenkstellung etc.
Oder B – in die Spezialklinik mit renommiertem Chefarzt, der schon zig PFFD Fälle gesehen hat in seiner Laufbahn. Hier bedeutet eine Hilfsmittelneuversorgung für uns 4-5 Stunden Anfahrt und 2 Wochen stationären Aufenthalt in der Klinik, mit täglicher Pendelei zum Orthopädietechniker.
Nach einem ambulanten Termin in der Spezialklinik zum Kennenlernen, bei dem sich der Oberarzt etwa eine Stunde Zeit nahm für uns, fiel unsere Wahl letztendlich auf Variante B.
Es kostet uns Urlaub, Zeit und Nerven, aktuell etwa alle 3-4 Monate für 2 Wochen (Neuversorgung) oder 1 Woche (Nachpassung) in die Klinik zu fahren, aber wir haben unsere Entscheidung bisher nicht bereut. Nicht nur die Orthopädietechniker schauen sich das Kind mit Orthese an, sondern auch die Kinderorthopäden in der Klinik, genauso wie die Physiotherapeuten bei den täglichen Einheiten. Diese geben wiederum Rückmeldung an den Orthopädietechniker, wo etwa Winkel der Gelenke nachgebessert werden müssen oder Druckstellen auftreten. Dinge, die man als Eltern nicht unbedingt sieht und nicht weiß (insbesondere bei der ersten Orthese).
Das hätte es bei Variante A so nicht gegeben.
Klar sind die Klinikaufenthalte anstrengend und nehmen viel Zeit in Anspruch. Aber man ist dabei auch raus aus dem Alltagstrott zuhause, und muss das Anpassen der Orthese (die auch für das Kind jedes Mal eine körperliche Umstellung bedeutet) nicht zwischen anderen Terminen, Essen kochen etc. unterbringen. Und bis heute hatten wir zuhause keinerlei Probleme mit Druckstellen oder ähnlichem. Das ist es uns auf jeden Fall wert.
Die Fahrtkosten kann man sich bei der Krankenkasse erstatten lassen – natürlich mit dem üblichen Papierkrieg.


Die erste Ortoprothese


Den ersten „Otto“, wie wir die Ortoprothese getauft haben (ist fürs Kind viel leichter auszusprechen), bekam unser Sohn mit 10 Monaten. Als er anfing, sich hochzuziehen und hinzustellen, war es an der Zeit.
Man weiß ja erstmal nicht was auf einen zukommt, aber eigentlich war es halb so wild. Den Gipsabdruck fand der Zwerg zwar überhaupt nicht lustig, aber von der ersten Anprobe an hat er den
Otto akzeptiert. Anfangs hat er sehr viel mit dem Fuß in der Orthese gearbeitet, sodass Ferse und Rist immer wieder gerötet waren. Durch die vielen Anproben (wie oben schon beschrieben) passte der Otto am Ende aber gut, wir haben bisher nie Probleme mit Druckstellen gehabt.
Beim Anpassen schaut man immer wieder zu, wie die Orthese an- und ausgezogen wird – und dann kommt der Moment, dass man es das erste Mal selbst machen muss. Schlauchverband an, Liner an, Orthese drüber, Deckel drauf, Klettverschlüsse zu… Im Endeffekt kann man nicht allzu viel verkehrt machen. Man hat den Dreh schnell raus und bekommt Routine, auch wenn das Kind nicht immer stillhalten will.
Unser Sohn hatte schnell kapiert, dass der Otto ganz praktisch ist, wenn man stehen und gehen will. Egal ob beim Klettern oder Spielen, er kennt es nicht anders und entwickelt seine eigenen Strategien, wie man damit auf die Couch kommt, auf den Tripptrapp hoch und runter kommt, etc… Nur beim Spielen auf dem Boden stört das fehlende Kniegelenk gelegentlich, und der Ärger ist groß, wenn man mit dem Otto mal wieder versehentlich den Duploturm umgeworfen hat.
Unser nächstes Projekt wird Laufrad fahren, da ist der Zwerg allerdings noch etwas skeptisch.
Bezüglich Kostenübernahme: Die Orthesen werden prinzipiell von den Krankenkassen gezahlt, bis jetzt war auch noch kein großer Schnickschnack dran. Wie es später ausschaut, wenn vielleicht Sonderwünsche dazukommen, wird sich zeigen. Allerdings hatten wir hier mal den Tipp bekommen, dass eine gute Rechtsschutzversicherung durchaus Sinn machen kann.
Badeorthese hatten wir noch keine, das ist aber bei der nächsten Neuversorgung eingeplant, damit dem Baden im Sommer nichts mehr im Weg steht.
Auch der Schlauchverband wird von den Krankenkassen übernommen. Mit Rezept vom Kinderarzt hat uns das örtliche Sanitätshaus Nachschub organisiert. Man kann ihn zwar ein paar Mal waschen, aber dann franst er aus, zieht Fäden, wird rau…


Selbsthilfeverein – ja oder nein?

Wir wurden schon früh auf Standbein e.V. hingewiesen. Wir sind zwar beide Vereinsmenschen und gehen in verschiedenen Vereinen unseren Hobbies nach, aber in einem Selbsthilfeverein waren wir beide bisher nicht. Es gab keine Notwendigkeit dafür, schließlich kann man sich im heutigen Informationszeitalter normalerweise sämtliche Informationen online beschaffen.
Da PFFD aber so selten ist, dass auch im Internet wenige Informationen verfügbar sind, entschied ich mich schließlich doch für eine Mitgliedschaft. Der Austausch mit anderen Eltern (ob in der Klinik, oder über Standbein e.V.) hat uns immer wieder neue Denkanstöße gegeben. Wir stehen noch am Anfang unserer PFFD-Reise, und haben trotzdem schon von vielen Tipps und Hinweisen für den Alltag profitiert. Wenn andere Eltern aus ihrem Alltag und von ihren Erfahrungen berichten, wird einem bewusst, dass man mit seinen Erlebnissen, Ängsten, Gefühlen, etc. nicht alleine ist.
Man merkt natürlich auch immer wieder, dass da noch einiges auf uns als Familie zukommen wird. Aber ebenso bekommt man Mut gemacht und vor Augen geführt, dass sich die vielen Herausforderungen mit entsprechender Vorbereitung und Unterstützung auch meistern lassen.


Grad der Behinderung

Den ersten Kontakt mit dem Thema „Behinderung“ hatte ich bei der Meldung der Geburt an die Krankenkasse. Da gilt es anzukreuzen, ob das Kind eine Behinderung hat oder nicht. Mh, ja, eigentlich schon… Das Formular uns die Klinik aber nicht automatisch ausgestellt, wie das zB bei Frühchen gemacht wird. Also hat unser Kinderarzt tief in der Schublade gewühlt, damit wir den
entsprechenden Nachweis bei der KK einreichen konnten. Damit gab es dann nämlich 4 Wochen länger Mutterschaftsgeld.
Grad der Behinderung klingt erstmal schrecklich. Ich sehe mein Kind nach wie vor nicht als „behindert“ an. Wenn unser Zwerg mit nicht mal 2 Jahren grammatikalisch korrekte Sätze von sich gibt und auf dem Spielplatz mal wieder auf das höchste Klettergerüst rauf will, passt das für mich nicht zusammen. Das englische Wort Handicap klingt da irgendwie besser.
Ich habe mich anfangs schwer getan, einen Antrag auf Grad der Behinderung zu stellen. Letztendlich haben wir uns doch dazu entschlossen, da es steuerliche Erleichterungen bedeutet, die zumindest einen Teil der Zusatzkosten aufwiegen, die die PFFD-Thematik mit sich bringt.
Das Versorgungsamt hat uns 30% GdB anerkannt, was wir zunächst so hingenommen haben. Durch diverse Gespräche mit anderen betroffenen Eltern wurde aber schnell klar, dass PFFD mit mehr als 50% GdB sowie verschiedenen Merkzeichen eingestuft werden sollte – was den steuerlichen Vorteil deutlich erhöht. Jedoch ist PFFD so selten, dass man dem Sachbearbeiter vom Versorgungsamt vermutlich nicht mal einen Vorwurf machen kann. Bein zu kurz – klingt banal und ist dann auch schnell abgestempelt beim Amt. Dass es mit einer Schuherhöhung nicht getan ist, geht aus dem Antrag auch nicht wirklich hervor.
Wir haben einen Anwalt eingeschaltet, der uns empfohlen wurde, einen riesigen Fragebogen beantwortet und unzählige Dokumente zusammengesucht. Es zieht sich schon seit Monaten hin, Fristen verlängern, Widerspruchsbegründung einreichen, Fristen abwarten, … Aktuell läuft die Untätigkeitsklage gegen das Versorgungsamt, um endlich einen Entscheid zu erwirken.
Hier haben wir auch das erste Mal unsere Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen wollen. Allerdings hatten wir den ersten Antrag auf GdB wohl ein paar Tage vor Abschluss der Rechtsschutzversicherung gestellt – Pech gehabt, die Anwaltskosten müssen wir selbst tragen.


Pflegegrad

Auch die Beantragung des Pflegegrads hat erstmal Überwindung gekostet. Andererseits – warum sollte man darauf verzichten, wenn der Sozialstaat bzw. die Pflegekassen dieses Instrument doch anbieten.
Der Antrag war online schnell ausgefüllt bei der Krankenkasse – dann folgt der Besuch vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Bei uns damals zu Coronahochzeiten war es nur ein Telefonat, unser Zwerg war gerade 5 Monate alt.
Bei Babys ist es nicht so einfach, einen Pflegegrad zugesprochen zu bekommen, da Babys ja im Allgemeinen dauerhaft Pflege benötigen. Durch die tägliche Vojta-Therapie daheim und wöchentlich in der Praxis haben wir die benötigte Punktzahl jedoch erreicht. Da Kinder unter 18 Monaten automatisch einen Pflegegrad höher eingestuft werden, bedeutete dies Pflegegrad 2. Damit bekommt man monatlich Pflegegeld, hat Anspruch auf Ersatzpflege und eine monatliche Pauschale, die z.B. für Haushaltshilfe verwendet werden kann (die muss allerdings von einem Pflegedienst direkt mit der KK abgerechnet werden).
Da kommt dann schon ein bisschen Geld zusammen – wir legen es zurück, um später mal größere Investitionen tätigen zu können, die die Krankenkasse vielleicht nicht übernimmt.
Sobald das Kind 18 Monate alt ist, wird es dann automatisch einen Pflegegrad zurückgestuft und es muss ein Antrag auf Höherstufung gestellt werden. Das ganze Spiel geht von vorn los und der MDK kommt zu Besuch. Unsere Erfahrung: den Termin bloß nicht verschieben wollen. Bringt noch mehr Wartezeit mit sich und der nächste Termin passt einem bestimmt auch nicht in den Kram.
Außerdem sollte man sich vorbereiten, und mal online einen Pflegerechner zur Rate ziehen (möglichst einen, der auch für Kinder vorgesehen ist – hier gelten nämlich Sonderregelungen). Dort sind auch Erklärungen zu finden, wie die Einstufungen vorgesehen sind. Und manchmal kann man allein durch die Wortwahl (z.B. häufig vs. täglich) mehr Punkte erreichen.
Mit Therapie und Orthese landeten wir wieder bei Pflegegrad 2. Mit steigendem Alter (und dann evtl auch OPs, Fixateur, etc) wird der zusätzliche Pflegeaufwand im Vergleich zu einem gleichaltrigen Kind ohne Einschränkung natürlich größer, dann kann unter Umständen auch ein höherer Pflegegrad möglich sein.
Eine hilfreiche Info, die wir bekommen haben (und die einem die Krankenkassen natürlich nicht freiwillig erzählen): Kommt der MDK nicht innerhalb von 4 Wochen zu Besuch, wird eine Entschädigungszahlung von 70€ pro weiterer angefangener Woche fällig. Bei uns hat die Krankenkasse diese weder erwähnt, noch automatisch bezahlt. Ich habe daraufhin schriftlich um die Zahlung gebeten – und siehe da, es kamen nochmals einige Euros zusammen.


In der Kita

Als die Zusage für den Kitaplatz kam, rief ich zunächst bei der Kita-Leitung an. Schließlich muss die Einrichtung ja wissen, dass da ein Kind mit zusätzlichen Herausforderungen kommt. Ich kam dann zum persönlichen Gespräch vorbei, und hatte anschließend das Gefühl, mein Kind hier gut abgeben zu können. Es gab keinerlei Bedenken seitens der Leitung, lediglich die Bitte, einen Integrationsplatz zu beantragen. Damit wurde die Gruppengröße dann um ein Kind reduziert und die Kita erhält finanzielle Mittel für eine zusätzliche Halbtagskraft (die auf dem Arbeitsmarkt aber nicht unbedingt vorhanden ist).
Für die Zusage des Integrationsplatzes mussten wir dann einen Antrag ausfüllen und einen Pflichttermin zur ärztlichen Begutachtung beim Gesundheitsamt wahrnehmen. Zog sich alles etwas hin, war aber vom Aufwand überschaubar.
Der Zwerg konnte mit seinen 13 Monaten bei der Eingewöhnung noch nicht alleine laufen, das können aber andere Kinder in dem Alter auch noch nicht alle. Die Orthese stellt aktuell nicht wirklich einen Zusatzaufwand dar, da unser Sohn sie den ganzen Vormittag über trägt und sie im Normalfall nicht ausgezogen werden muss. Windelunfälle gab es bisher dort auch nur sehr selten.
Die Erzieher anzuleiten, wie das An- und Ausziehen der Orthese funktioniert, ist trotzdem eine gute Idee, nur für den Fall der Fälle. Auch ein Anleitungsvideo kann hilfreich sein, das hatten wir auch für die Großeltern erstellt, als der erste Übernachtungsbesuch anstand.


Sehen und gesehen werden

Anfangs fiel das kurze Bein nicht wirklich auf. Unser Sohn ist ganz normal gekrabbelt, da haben viele Leute gar nicht gemerkt, dass da was anders ist als bei anderen Kindern. Die erste Zeit mit Orthese fiel in den Winter, wo man dicke Klamotten trägt. Außerdem sind die ersten Gehversuche ja sowieso erstmal wackelig, da fiel auch das fehlende Kniegelenk an der Orthese beim Gangbild nicht so sehr auf.
Erst im Sommer wurden wir öfter mal angesprochen – die meisten Leute dachten aber, der Zwerg hätte sich das Bein gebrochen. Erst mit der zweiten Orthese, die dann kein Plateau mehr unter dem Fuß hatte, sondern einen „Doppeldecker-Fuß“, wurde es dann deutlich, dass eine Fehlbildung vorliegt.
Wenn man dann angesprochen wird, gibt es normalerweise zwei Arten von Reaktionen. Die Leute, die sagen „ach, ohje, der Arme…“ und die, die sagen „nicht so schlimm, ist ja nur das Bein zu kurz…“.
Bei der ersten Reaktion wiegele ich ab, schließlich habe ich ein gesundes Kind. Bei der zweiten Reaktion denke ich, der hat ja keine Ahnung, was das „nur zu kurze“ Bein alles mit sich bringt. Es ist also auch für Außenstehende nicht so leicht, richtig zu reagieren – das darf man sich alles nicht zu sehr zu Herzen nehmen. In jedem Fall sind Leute die nachfragen, immer besser als die Leute, die einen exzessiv anstarren. Unser Sohn ist noch nicht so alt, als dass ihn das stören würde, aber auch das wird kommen.
Mobbing ist in diesem Alter zum Glück noch kein Thema. Auf dem Spielplatz fragt vielleicht mal ein älteres Kind, was der Junge da an seinem Bein hat, aber ansonsten sind gerade kleine Kinder da wunderbar unbedarft.
Ich selbst sehe meinen Sohn nicht als behindert an und nehme auch im Alltag die Orthese oft gar nicht wahr. Die Bewegungsabläufe und Anleitungen für Treppensteigen, Klettern etc. sind etwas anders als bei einem uneingeschränkten Kind, aber unser Sohn bekommt bisher alles gemeistert und erstaunt uns dabei oft. Man muss ihm vieles einfach nur zutrauen.
Dennoch gibt es manchmal kleine Situationen, die mir einen Stich in mein Mama-Herz versetzen. Wenn der Zwerg sagt, er will hüpfen und dabei mit nur einem Knie wippt. Oder wenn er mit dem Lieblingskumpel losläuft, der ihm davon rennt und mein Sohn kommentiert: „..der ist zu schnell…“. Da lässt sich die Einschränkung dann einfach nicht übersehen. Und dann hilft es auch nicht, wenn andere Eltern sagen, er könne doch dafür das oder das – denn es geht nicht um etwas, das er noch lernen muss oder was sich mit der Zeit wieder gibt. Und mit zunehmendem Alter werden die Einschränkungen im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen natürlich immer deutlicher und auch das Bewusstsein unseres Sohnes dafür wird stärker.
Aber: Jeder Klinikaufenthalt und Besuch beim Orthopädietechniker erdet uns. Dort sieht man immer wieder Kinder und Eltern, die ein viel schwereres Los gezogen haben. Weitere Fehlbildungen der Gliedmaßen und Organe, geistige Behinderungen, neurologische Probleme… Letztendlich ist bei unserem Sohn dann eben doch „nur das Bein zu kurz“ und es geht uns als Familie trotz allem gut damit.

Wie es weitergeht

Wir wissen es noch nicht. Da PFFD so selten ist und die Ausprägungen so unterschiedlich, gibt es auch keine Blaupause für die Behandlung. Und letztendlich liegt die Entscheidung für oder gegen einen Behandlungsweg ja auch bei den Eltern. Was eine Familie für einen guten Weg hält, muss für eine andere noch lange nicht die beste Option sein.
Wir gehen derzeit davon aus, dass eine Verlängerung möglich ist, allerdings haben wir noch keine finale Aussage zu Hüft- und Kniestabilität. Wir hangeln uns derzeit von Röntgenbild zu Röntgenbild alle paar Monate, als nächstes steht ein MRT an. Da kommt die erste Vollnarkose auf uns zu.
OPs, Schmerzen, Spritzen, Ängste, Therapien, auch wir werden unsere Erfahrungen damit wohl noch sammeln.
Im Moment sind wir aber einfach froh, ein fröhliches, lebensfrohes Kind zu haben, das eben ein paar zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt.